Die 1970er Jahre in der Bundesrepublik sind geprägt von Protest und Bewegung: die Nachwehen der 68er Student*innenbewegung – Frauenbewegung – Friedensbewegung. In den USA formiert sich die Independent-Living-Bewegung.
Spezifisch in der BRD hat das Erbe des Nationalsozialismus eine besondere Bedeutung für die Entwicklung der Bewegung. In allen Institutionen sitzen in den Jahren nach 1945 weiterhin Personen, die einst mit dem NS-Regime eng verflochten gewesen waren:
- So verfestigen sich in der Politik Machtstrukturen, die weiterhin Menschen mit Behinderung Vernunft, Eigenständigkeit und Gleichwertigkeit absprechen.
- In der Ärzt*innenschaft sitzen dementsprechende „Expert*innen“, die über das Schicksal von Menschen mit Behinderung entscheiden.
- Jurist*innen stützen diese Entscheidungen.
- Innerhalb von Familien schämen sich Eltern, insbesondere Mütter, nicht fähig zu sein, ein „gesundes“ Kind zur Welt gebracht zu haben.
- Der Umgang der Pharmaindustrie mit dem Medikament Contergan entwickelt sich zu einem Skandal, der bis heute nicht geklärt ist.
Ende der 1960er Jahre beginnen sich behinderte Menschen für ihre Teilhabe in der Gesellschaft zu engagieren, z.B. in den „Clubs Behinderter und ihrer Freunde“. Eine Straßenbahnblockade in Frankfurt a. M. ist eine der ersten öffentlichen Protestaktionen. Öffentliche Verkehrsmittel sind für Rollstuhlfahrer*innen nicht nutzbar. Der Protest am 8. Mai 1980 gegen das sogenannte „Frankfurter Urteil“ (25.02.1980) gilt als Startpunkt der Behindertenbewegung. In dem Urteil wird einer Frau Recht auf Entschädigung zugesprochen, weil sie sich in ihrem Urlaub durch behinderte Miturlauber*innen gestört fühlt. Zum ersten Mal gehen Menschen mit Behinderung massenweise auf die Straße.
Dieser Ausstellungsraum beleuchtet ausgewählte Ereignisse und Themen der Bewegungsgeschichte ab den 1980er Jahren, beginnend mit einem Zeitzeuginnen-Interview: Ursula Aurien, langjähriges Vorstandsmitglied von ambulante dienste e.V. erzählt, wie sie zur Behindertenbewegung kam. Wo fand sie dort ihren Platz?
Was hat es mit der Selbstbezeichnung Krüppel auf sich und welche Diskussionen gibt es um die Krüppelgruppen in der Behindertenbewegung? Und was war das Internationale UNO-Jahr der Behinderten? Welche Möglichkeiten hatten Menschen mit Behinderungen in der DDR? Diesen Fragen geht die Ausstellung nach.