ZUR DISKUSSION: Krüppelgruppen in der Behindertenbewegung

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Mit der provokanten Selbstbezeichnung Krüppel wollen die Aktivist*innen der 1970er/80er Jahre ihr Gegenüber zur kritischen Selbstbetrachtung herausfordern. Sie eignen sich den abwertenden Begriff an und deuten ihn damit positiv um.

Die ersten Krüppelgruppen gründen sich in den 1970er Jahren, um Widerstand gegen die Politik der Aussonderung zu leisten. In den Krüppelgruppen arbeiten nur behinderte Menschen zusammen, so definiert im „Krüppelstandpunkt“. Damit wollen sie der üblichen Dominanz nicht-behinderter Menschen keinen Raum geben. Diese radikale Haltung wird jedoch längst nicht in der gesamten Behindertenbewegung geteilt, sondern stark diskutiert. Die Gegenposition will sich weiter gemeinsam mit nicht-behinderten Menschen für die Rechte behinderter Menschen einsetzen.

Lothar Sandfort: Schlecht beraten. Stellungnahme eines Krüppels zu den Auffassungen der Bremer Krüppelgruppe. Luftpumpe 4/1981

Die Krüppelgruppen sehen das Problem nicht in der einzelnen Person mit Behinderung, sondern im System, das die unterdrückenden Strukturen aufrechterhalten will. Sie fordern die gleichen Rechte für Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft. Dies umfasst Leben in den eigenen vier Wänden mit persönlicher Assistenz sowie Möglichkeiten der aktiven und gleichberechtigten Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.

1985 lösen sich die Krüppelgruppen auf. 1986 wird das erste „Zentrum für selbstbestimmtes Leben“ gegründet. Weitere folgen. Sie bieten Beratungen von behinderten Menschen für behinderte Menschen an. 1991 schließen sich die Zentren zur bundesweiten „Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben“ (ISL) zusammen. Diese vertritt die Interessen von Menschen mit Behinderungen auch politisch.

PODCAST – Deutsche Welle, „Echt Behindert“: Folge 7. Krüppelstandpunkt und selbstbestimmtes Leben