Die Ethik des Tötens

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Im Juni 1989 lädt der Bundesverband der Lebenshilfe den australischen Philosophen und Bioethiker Peter Singer nach Marburg ein und löst damit einen Eklat aus.

Nach Singer ist die Tötung eines behinderten Säuglings moralisch nicht gleichbedeutend mit der Tötung einer Person. Sehr oft sei sie überhaupt kein Unrecht. Singer postuliert eine Neue Moral; die „Heiligkeit des Lebens“ sei überholt. Er deklariert Personalität, insbesondere Selbstbewusstsein, als Kriterium für das Recht auf Leben.

„Wesen“ ohne Personalität hätten kein Lebensrecht. Dagegen spricht er bestimmten Tieren Schmerzempfinden und Personalität zu. Vordergründig dient das Konzept der Personalität der Gleichstellung zwischen Mensch und Tier. Dabei definiert es jedoch eine Auffassung von Menschheit, die bewusst einige Menschen ausschließt, z. B. Menschen mit bestimmten Behinderungen, und ihnen das Menschsein abspricht.

Der inzwischen in Princeton lehrende Professor Peter Singer erfährt nach wie vor Unterstützung, aber auch deutlichen Gegenwind. Stets werden die geplanten oder tatsächlich stattfindenden Auftritte des Australiers von Protesten begleitet, viele mit Beteiligung von Behindertenrechtsinitiativen. Seine Ansichten hat Peter Singer bis heute nicht geändert, sie haben sich sogar verschärft.

Peter Singer beruft sich auf die Rede- und Wissenschaftsfreiheit, wobei er gleichzeitig seine Kritiker*innen als irrelevant und irrational herabwürdigt. Doch die Kritik trifft den problematischen Kern seiner Argumentation: Peter Singers Logik befördert die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung als „Abschreckungsmodell“, wie der Behindertenaktivist Franz Christoph im Spiegel schreibt. Singer werte Tiere und deren moralischen Status auf, indem er bestimmte behinderte Menschen abwerte und ihnen das Recht auf Leben aberkenne. Die Logik Singers ist in ihrer Konsequenz eine Logik des Todes, so die Juristin und Behindertenrechtsaktivistin Theresia Degener.

Theresia Degener im „Pannwitzblick“ Teil 1

Theresia Degener

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geb. 1961, ist heute Professorin für Recht und Disability Studies und Leiterin von BODYS an der Ev. Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, Bochum. Sie ist eine Aktivistin der bundesdeutschen Behindertenbewegung. 1981 ist sie maßgeblich an der Durchführung des „Krüppeltribunals“ beteiligt und ist nach 2001 als unabhängige Juristin und Vertreterin Deutschlands an der Ausarbeitung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen beteiligt. Von 2016 bis 2018 ist sie die Vorsitzende des „UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen“.

Theresia Degener im „Pannwitzblick“, Teil 2