Geschichte(n) zum selbstbestimmten Leben im Kontext der Behindertenbewegung
Im selbstverwalteten Mehringhof in Berlin-Kreuzberg wurde am 8. Mai 1981, zum Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus, der Verein „ambulante dienste e.V.“ gegründet. Hintergrund und Auslöser der Gründung war die Situation behinderter Menschen mit einem hohen Hilfebedarf, die nur die Wahl zwischen Familie und Heim hatten. Menschen mit Behinderungen sollten nicht im Heim leben müssen, nur weil sie einen umfangreichen Assistenzbedarf haben. Genauso wenig sollten sie gezwungen sein, Unterstützung aus privaten Beziehungen in Anspruch nehmen zu müssen. Hervorgegangen aus der Independent Living Bewegung (USA) entstand ein Verein, der die Selbstbestimmung behinderter Menschen in den Vordergrund stellt und diese als Expert*innen in eigener Sache ansieht.
Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums von „ambulante dienste e.V.“ im Jahr 2021 gibt die Ausstellung Einblicke in ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden. Sie zeigt auf, wie u. a. Reisen, künstlerisches Schaffen und Sport durch persönliche Assistenz ermöglicht werden. Dieser Blick auf selbstbestimmtes Leben mit persönlicher Assistenz ist eingebettet in den gesetzlichen Rahmen und in die Geschichte der Behindertenrechtsbewegung in Deutschland. Zum Auftakt lädt die Ausstellung dazu ein, sich durch das verwirrende deutsche Bürokratie-Labyrinth zu bewegen. Die Macht von Sprache und Gesetzestexten wird demonstriert und grundlegendes Wissen vermittelt.
Die Auseinandersetzung mit der Ermordung von Menschen mit Behinderung im Nationalsozialismus spielt für die Behindertenrechtsbewegung eine elementare Rolle. Aus diesem Grund fragt die Ausstellung nach der Bedeutung von Erinnerungskultur, um dann konkrete Formen des Gedenkens und Erinnerns an die Opfer der NS-„Euthanasie“ vorzustellen. Die spannende Geschichte der Behindertenrechtsbewegung, von den Anfängen bis zur Gegenwart, wird erzählt anhand einzelner Ereignisse, Dokumente, Fotografien, Filmausschnitte und Zeitzeug*inneninterviews. Politische Zusammenschlüsse und Akteur*innen werden vorgestellt. Im letzten zeitgeschichtlichen Bereich der Ausstellung wird ein Fazit in Hinblick auf die heutige Situation gezogen.
Auf der „Bühne der Biografien“ zeichnet die Berliner Erzählerin Christine Lander wortkünstlerisch Lebenssituationen und Charakterzüge von drei Assistenznehmer*innen und Vereinsmitgliedern der ersten Stunde nach: Jutta Andrä (geboren 1954– 2017 verstorben), Joachim Rinke (geboren 1943–2020 verstorben) und Wolfgang Röcker (geboren 1934–2006 verstorben).
Im Archiv bietet die Ausstellung weiterführende Links sowie die Literaturnachweise
zu den Themen der Ausstellung.