Gedenkpolitik

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Was bedeutet Gedenken im öffentlichen Raum? Inwiefern spiegeln sich im Gedenken unsere gesellschaftlichen Werte und Haltungen wider?

Gedenken ist sowohl Symbolpolitik als auch ein moralisch und emotional geprägtes Ritual. Gedenken findet öffentlich sicht- und erlebbar statt, in Form von Gedenkstelen und -tafeln, Stolpersteinen sowie Denkmälern und Straßennamen, bei Gedenkfeiern und an Gedenktagen, an Gedenkstätten sowie im virtuellen Raum.

Oft entsteht Erinnerungskultur „von unten“, indem es Menschen gibt, die sich für die Aufarbeitung der Verbrechen einsetzen, häufig motiviert durch eigene Betroffenheit. Diese Aktivitäten und Initiativen von Geschichtswerkstätten, Opfer-Verbänden und Arbeitsgemeinschaften werden mit öffentlichen Mitteln gefördert.

Die Politik hat sich seit den 1990er Jahren immer wieder für eine vielfältige Erinnerungskultur eingesetzt, Stiftungen gegründet, die solche Projekte und Aufarbeitungsinitiativen fördern. Bei Projekten und Gedenkorten von gesamtstaatlicher Bedeutung übernimmt der Staat mehr Verantwortung. Dies gilt beispielsweise auch für Orte von NS-„Euthanasie“-Verbrechen, an denen Gedenkstätten mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden. So gibt es seit den 1980er Jahren an vielen Orten, an denen Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen ermordet worden sind, Spezialmuseen und Bildungseinrichtungen als Teil der öffentlichen Erinnerungskultur. Ob ein Ort der „Euthanasie“-Verbrechen oder eine Initiative mit einem Projekt mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden, entscheiden Kommissionen, bestehend aus Sachverständigen.

In Bezug auf die Aufarbeitung der Zwangssterilisationen und NS-„Euthanasie“ gibt es auch heute noch Lücken. Initiativen schaffen es häufig durch ehrenamtliche Arbeit, auf diese Leerstellen aufmerksam zu machen und sie zu füllen. Öffentliche Stiftungen wie die Stiftung EVZ (Erinnerung, Verantwortung, Zukunft) oder die verschiedenen Gedenkstätten-Landesstiftungen versuchen nach ihren Möglichkeiten, diese „pluralistische Erinnerungskultur“ durch die Bereitstellung von Fördergeldern am Leben zu halten.

 

Beispiele des Erinnerns und Gedenkens

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Das öffentliche Gedenken der Opfer der Eugenik und NS-„Euthanasie“ war bis in die 1980er Jahre eine solche Lücke. Die aus Initiativen entstehenden Gedenkorte sind vielerorts inzwischen fester Bestandteil der Gedenkstättenlandschaft. 2014 wurde am Ort der Tiergartenstraße 4 der Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde eingeweiht. Dort befand sich die Zentralverwaltung der NS-“Euthanasie“-Maßnahmen.

 

Gedenkinitiative für die ermordeten Insass*innen der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik

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Die Gedenkinitiative für die ermordeten Insass*innen der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Berlin-Wittenau ist ein Beispiel für das Zusammenwirken von Erinnern und Gedenken.

„Denkmal der Grauen Busse“ und der „Gedenkort T4“

Foto. Denkmal der grauen Busse vor der Berliner Philharmonie
Das Denkmal der grauen Busse am historischen Ort der Planungszentrale der NS-„Euthanasie”- Morde, der ehemaligen Tiergartenstraße 4 in Berlin

2008 wird das mobile „Denkmal der Grauen Busse“ in Brandenburg a. d. Havel und in der Tiergartenstraße 4 in Berlin aufgestellt, das von den Künstlern Horst Hoheisel und Andreas Knitz 2006 geschaffen wurde.

2010 übergibt der „Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin“ Sterbebücher der Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde an das Landesarchiv Berlin. Im Zuge dieser Gedenkaktionen stellen die Initiator*innen fest, dass es im Internet kaum gut aufbereitete Informationen zur NS-„Euthanasie“ gibt. Deshalb wird 2011 das Informations- und Gedenkportal „Gedenkort-T4“ online gestellt. Im November 2011 beschließt der Deutsche Bundestag über diesen virtuellen „Gedenkort-T4“ auch einen Erinnerungsort im öffentlichen Raum zu schaffen.

Ausgangspunkt sind die Arbeiten des 2007 gegründeten „Runden Tisches T4“, der sich für eine Neugestaltung des Platzes einsetzte, auf dem ab 1989 lediglich eine Gedenkplatte an die NS-„Euthanasie“-Verbrechen erinnerte. Sigrid Falkenstein, die zufällig herausfand, dass ihre Tante Anna Lehnkering ermordet wurde und daraufhin zu recherchieren begann, war eine der Mitinitiator*innen.

Im Juni 2016 gründet sich der „Förderkreis Gedenkort T4 e.V.“, eine Initiative aus Angehörigen, Menschen mit Behinderungen und anderen Interessierten. Der Förderkreis setzt die Arbeit des „Runden Tisches T4“ fort. Sein Anliegen ist es, ein würdiges Gedenken der „Euthanasie“-Opfer zu fördern.

Aus dem Förderkreis ging unter anderem das Projekt „andersartig gedenken on stage“ hervor. Im Rahmen eines Theaterwettbewerbs setzen sich Schul- und inklusive Theatergruppen mit dem Thema NS-„Euthanasie“ auseinander. Ein anderes Projekt des Förderkreises sind inklusive Workshops „T4“ in einfacher Sprache. U. a. werden auch zwei Gedenkorte in Berlin besichtigt.

Gedenken am 3. September 2021, „Gedenkort T4“

Stolpersteine

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Stolpersteine erinnern seit 1992 an vielen Orten Europas an Opfer des Nationalsozialismus. Darunter sind auch Steine für Opfer der Zwangssterilisation und NS-„Euthansie“. Der Stolperstein in der Charlottenburger Wielandstraße 4 erinnert an Klaus Otto Busse. Er wird 1939 verfrüht geboren und entwickelt sich verzögert. Einen Monat vor seinem zweiten Geburtstag wird er in der Tötungsanstalt Brandenburg vermutlich mit Medikamenten ermordet.

Stolperstein für Klaus Busse

Gedenkstätten

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NS-Euthanasie“-Gedenkstätten halten oft Angebote in Leichter Sprache bereit. Besonders die Gedenkstätte Brandenburg a. d. Havel kann hier als vorbildlich bezeichnet werden. Dort arbeiten Menschen mit Einschränkungen als Guides und bieten Führungen in Leichter Sprache an.